Artikel aus Custombikes 2003 – Bikers Live Sonderband 10 erschienen Dezember 2002
von Stephan H.Schneider
VORFAHRT
DIE DESIGN-STUDIEN von Moto Guzzi wurden allgemein als der emotionale Höhepunkt der letzten Intermot bewertet. Die Visionen der Italiener sind aber eigentlich bereits Vergangenheit. Dafür haben wir in die Zukunft geschaut.
MAN KÖNNTE GLAUBEN, Ivano Beggio wußte gar nicht, was er da kaufte, als Aprilia die vor sich hin siechende Firma am Comer See übernahm. In erster Linie wollte er seinen noch immer mit dem Image des Moped-Konfektionärs behafteten Konzern mit einem traditionsreichen Namen schmücken. Daraus macht er auch nach wie vor keinen Hehl. In zweiter Linie hatte er, wie fast alle Verantwortlichen der Motorradindustrie, den beispiellosen Wiederaufstieg Harley-Davidsons vor Augen. „Wir machen Moto Guzzi zum europäischen Anbieter für traditionelle Cruiser”, eröffnete er damals im Interview. Doch schon kurz darauf verwies er voller Stolz auf die ehemals große Innovationskraft in Mandello, wo man vom kleinen Zweitakter für Gartenfräsen bis zur legendären V8-Rennmaschine, die inzwischen überall rumgezeigt wird, alles gebaut hatte. In seiner übers Internet verbreiteten Erklärung betonte er nun, „die in der Motorradgeschichte einmalige Stellung von Moto Guzzi” fortzuführen. Ivano scheint wohl erst nach der Unterschrift einmal durch’s Werksmuseum gegangen zu sein. Immerhin steht in Mandello der erste Windkanal für Motorräder, experimentierte man bereits in den 60er Jahren mit elektrischen Benzineinspritzungen, bot in den 70ern das erste große Serienmotorrad mit Automatik und das bis heute verwendete Integralbremssystem an. Doch der damalige Eigner Alessandro De Tomaso ließ das Werk zugunsten seiner Sportwagenschmiede praktisch ausbluten. Investiert wurde kaum, den Rest besorgten Dauerstreiks der Arbeiter.Nun also soll der Adler wieder fliegen lernen, soll für emotionsgeladene Motorräder mit anspruchsvoller Technik stehen. Mit der neuen „Griso” geht es angeblich bald Ios, und die MGS/01 scharrt schon mit den Hufen. So schön Letztere – trotz der Nase vom Aprilia-Roller – anzuschauen ist, die Idee dahinter hatten schon andere. Guzzi macht’s wie viele Hersteller, die Trends aus der Custom-Szene und Visionen von kleinen Schraubern für die Serie adaptieren. Der Serien-Fighter Triumph Speed Triple ist dafür wohl das typischste Beispiel.
Und so wurde Jens Hofmann nach der Intermot-Enthüllung denn auch von Freunden am Telefon ironisch gefragt, ob er sein Motorrad schon in rot gesehen hätte. Das mag zunächst etwas weit her geholt sein, eine Begebenheit vom Guzzi Treffen zum 80. Geburtstag relativiert das aber. „Als wir mit unseren Motorräder donnernd ankamen,” schmunzelt Jens, „schauten ein paar Guzzi-Mitarbeiter aus dem oberen Stockwerk, und einer deutete sofort auf meine Blaue.” Gleich darauf stürmte eine ganze Horde Wichtiger mit Fotoapparaten, Bandmaß und Notizblöcken zur Guzzilla. Alles wurde vermessen, jedes Detail fotografiert. Bis die „Spionage” einem Engländer zu bunt wurde, er einen der Guzzisten anraunzte und auf das Werkstor deutete: „Hey bastard, go in and do your work!” Dabei ist die Version mit Straßenzulassung die ältere Generation. Die wahre Evolution ist bereits einen Schritt voraus. Jens vertritt seit jeher die Ansicht: „Wir entwickeln da weiter, wo Moto Guzzi aufgehört hat.”Angesichts der Carbon-Fratze mit den dreieckigen Nüstern, die in der Werkstatt lauert, zweifelt man daran nicht. Was so dubios ausschaut, mit den zwei Henkeln über der Stummellenker, ist ausgefeilte Aerodynamik. Dafür bürgt Clemens Driesch, dessen Firma CFP im pfälzischen Neustadt unter anderem die Maschinen von Ralf Waldmann einkleidete, die Langstreckenrennwagen von Audi und die DTM-Mercedes formt. Das spektakuläre Design gestaltete Udo Kopf. „Unser Ramair hat bei Tempo 250 mit offener Drosselklappe noch 8 mbar und bei geschlossener 26 mbar Staudruck”, erklärt Jens. „Das zeigt, wie effektiv es arbeitet.” Ein ausgeklügelter Ansaugschlund ist heute das A & O – die Airbox der Renn-Guzzilla hat 46 Liter Volumen! Offene Ansaugtrichter aus poliertem Alu sind also passé. Hinzu kommt die gesteigerte Windschlüpfigkeit durch die Nase, die den Piloten bestens in das Gesamtsystem integriert. Tests im Windkanal beweisen: Selbst Supersportler wie die Yamaha R1 oder die Ducati 916 wurden ohne Fahrer gestaltet, man glaubt es kaum. Als würde das Bike alleine fahren können. Jedenfalls freut sich Jens Guzzman: „Zu Beginn der letzten Rennsaison wurden wir von den Ducs und anderen ziemlich abgeledert, aber jetzt sind wir wieder dran!” Warum keine Vollverkleidung? „Den Vierventil-Guzzis wird’s ziemlich warm ums Herz, deshalb wurde auch die Vollverkleidung der ersten Daytona revidiert. Unsere Konstruktion ist so geformt, daß ihre Unterseite zusätzlich Kühlluft an die Zylinder führt.”Dieser Motor kehrt ja in der Griso zunächst zurück. Ob die zukünfige Sport-Guzzi dann von der Neukonstruktion mit projezierten 1400 ccm angetrieben wird, muß sich zeigen. Das Dynotec-Kraftwerk hat 1000 bis 1300 Kubik, je nach Aufbau. Die Ausnutzung der Spannbreite erfordert aber nicht bloß dickere Zylinder und entsprechende Kolben. So hat die Kurbelwelle 80 oder 82 mm Hub – eine mit 86 mm liegt schon bereit … In jedem Falle traktieren sie Carillo-Pleuel, und die Köpfe sind stark überarbeitet. Unter anderem wurde beim Renner der Ventilabstand 1,5 mm vergrößert, damit es nicht mehr zu Rissen zwischen den Bohrungen kommt. Schweißarbeiten verstärken übrigens auch das Gehäuse, zum Beispiel an der alten Verteilerbohrung, die schon lange nicht mehr da zu sein bräuchte. Denn Guzzis haben ja schon länger elektronische Steuerung und werden serienmäßig über eine Benzineinspritzung gespeist. Hier tut aber eine von Moto Spezial mit Dynotec-Programm und 58er Drosselklappen Dienst. Seinen schlechten Atem wird das Monster los durch einen Eigenbau-Auspuff mit knuffigem Ende – Dank großer Schalldämpferbox unterm Getriebe.Beide Guzzillas haben den gleichen Fahrwerksaufbau, mit einem einzigen dicken Rohr als Zentrum. Es ist kein Geheimnis, daß die möglichst direkte Verbindung vom Lenkkopf zur Schwingenaufnahme die beste ist, wofür die Einbaulage des V-Motors ideal den Weg freimacht. Jens bestätigt: „Guzzi liegt mit seinem Einrohrrahmen wie an der V11 eigentlich absolut richtig. Aber die Ausführung im Lenkkopfbereich und vor allem an der Schwingenlagerung ist unvollkommen.” Deshalb ändert er bei Kundenaufträgen die Serienrahmen mitunter erheblich. Bei seinen eigenen Projekten hat Jens erst gar keine halben Sachen gemacht und alles selbst gebaut. Jetzt steht der Lenkkopf drei Grad steiler und ist 60 mm kürzer. Eine Öhlins-Gabel ist ‘state of the art’, und die massive Schwinge ist ein Entwurf von Jens, der vom Spezialisten Sauer verwirklicht wurde: „So perfekt wie der schweißt keiner.” Sie lenkt direkt ohne weitere Hebelei das Öhlins-Zentralfederbein an. Eine dicke Kolbenstange sorgt für maximale Ölverdrängung damit für hervorragende Abstimmbarkeit. Umlenkmechanismen sind weniger effektiv. Und schließlich rollt alles sicher auf Rädern von PVM, die auch die Bremsen dazu liefern.In Zukunft wird die Aerodynamik der Motorräder – ihr Hauptnachteil gegenüber Autos – wesentlich über die Gestalt entscheiden. Damit ist aber nicht nur weniger Luftwiderstand und effizienter Abriß bei Topspeed gemeint, sondern auch die Wirkung auf den Fahrer, die Ansaugluftführung und effektive und widerstandsarme Kühlung. In dem Punkt hinken die Großserienhersteller kleinen Buden überraschend hinterher.