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Erfahrungen mit Guzzi-Tuning

Artikel aus Motalia, 01/1998

Erfahrungen mit Guzzi-Tuning

Die Nordschleife ist schuld

von Holger Aue

…denn vor zehn Jahren drehte ich das erste Mal zum Spaß ein paar Runden und schon war ich verloren: Der Rennstrecken-Virus hatte mich gepackt! Und langsam aber sicher häuften sich die Rennstrecken-Kilometer. Hier mal ein Renntraining, und dann dieses noch, und das …, dann jedes Jahr zum Desmo Corse, Classic BEARS-Rennen beim Euro-Cup und immer wieder die Nordschleife…

Und ziemlich schnell stand fest: Mehr Leistung muß her! Womit wir beim eigentlichen Thema wären. Da ich meine Le Mans II 1981 neu gekauft und bis heute über 225.000 Kilometer meines Lebens mit ihr geteilt habe, könnte ich wahrscheinlich fast ein ganzes Heft vollschreiben, aber das will erstens gar keiner wissen und außerdem wollte ich ja übers Tuning berichten.

1991 kaufte ich auf dem Teilemarkt in Kaltenkirchen einen Le Mans-Rundmotor, der mit DMB (der damalige Guzzi-Importeur)- Teilen getunt war. Aber irgendwie hatte ich zu den Komponenten nicht das rechte Vertrauen, zumal es alles Teile aus den frühen 80er Jahren waren, und mir der Vorbesitzer sagte, daß er mit den verbauten Mahle-Kolben schon mal Probleme hatte: Zwei Sätze waren am Kolbenhemd eingefallen. Das war also schon mal Murks, aber der Kauf hat sich trotzdem gelohnt, da die Kurbelwelle nagelneu und mit den stabileren Pleueln der eckigen Motoren bestückt war.

Obwohl ich bis dahin immer alles selbst gemacht hatte, beschloß ich, diesen Motor vom Profi tunen zu lassen, denn es sollte wirklich was bringen und halten sollte es möglichst auch noch. Da sich aber viele Leute Tuner schimpfen, hieß es, erstmal den richtigen finden. Voraussetzung war, daß es jemand sein sollte, der mit seinen Motoren im Rennsport Erfolge erzielt hat, denn das ist für mich der beste Beweis dafür, daß jemand sein Handwerk versteht. Da blieben schon nicht mehr viele Kandidaten übrig. Nach verschiedenen Infogesprächen war für mich dann Dynotec die erste Wahl. Hier wurde ich bereits am Telefon mit konkreten Aussagen bedient: Rundmotor? Die und die Komponenten und Spezialarbeiten, ergibt ca. 80 PS und 90 Nm, und das Ganze kostet dann soundsoviel. Also machte ich mich auf den 550 Kilometer weiten Weg nach Flörsheim-Dalsheim und packte die Brocken auf die Werkbank. Man nahm sich mehrere Stunden Zeit, um Punkt für Punkt zu besprechen, was gemacht werden soll und erstellte mir dann einen detaillierten Kostenvoranschlag, der mit seinen Worten den “Supergau” darstellte; daß heißt, teurer wird’s auf keinen Fall (Wurde es auch nicht). Was ich wollte, war klar: ein drehfreudiges Aggregat mit ordentlich Leistung obenrum ohne Verluste im unteren Drehzahlbereich. Das Programm sah dann (im Groben) so aus: Gilardoni-Kolben und Zylinder mit 88 mm Bohrung, Dynotec-Nockenwellenkit 7906, Brennraumbearbeitung. Der Kurbeltrieb samt Kupplung wurde feingewuchtet, und als Luxus gab’s noch eine Doppelzündung. Für die Kupplung übernahmen wir die Alu-Schwungscheibe von meinem alten Motor. Die 36er Dell’ortos wurden weiterverwendet. Der Motor wurde anschließend auf dem Prüfstand abgestimmt und gemessen: 83 PS bei 7.500/min und 90 Nm bei 5.900/min. Jetzt werden einige vielleicht denken, das ist ja nicht so gewaltig, wo die Le Mans II doch original schon 74 PS hat! Aber da die Italiener in den 70ern die größten Optimisten der Welt waren, bleiben davon auf dem Prüfstand höchstens 60-65 Pferdchen übrig, das ist nun mal die bittere Wahrheit. Das Tuning hatte also ca. 20 PS Mehrleistung gegenüber einem Serienmotor gebracht, und der Fahrspaß war beträchtlich gestiegen: Der Motor ist sehr drehfreudig und kann in den Gängen bis ans Limit von 8.500/min gejubelt werden. Man kann ihn aber auch mit 2.500 fahren, richtig druckvoll vorwärts geht’s bei 4.000 und ab 5.500 gibt’s den vollen Qualm. Im letzten Gang dreht er bis 8.000/min. Insgesamt läuft der Motor mechanisch sehr leise und vibrationsarm. Vor allem aber fühlt er sich dabei völlig unangestrengt an.

Die Fahrleistungen liegen auf dem Niveau einer gutgehenden Ducati 900 Supersport (Zahnriemen). Mein Kumpel Ralf hat nämlich eine ebensolche, und wir hatten reichlich Gelegenheit, das auszuprobieren…

Diesen Motor fuhr ich 33.000 Kilometer in meiner LM, dann war die nächste Tuningstufe angesagt (aber dazu gleich mehr), deshalb wurde er in unsere Zweit-Guzzi verpflanzt und bis heute gefahren. Während der ganzen Zeit hat es nicht das geringste Problem gegeben, trotz einiger tausend Kilometer gemeinster Drehzahlorgien auf der Rennstrecke. Auch der Ölverbrauch ist bis heute praktisch gleich null.

Bei Kilometer 45.000 dachte ich, es wäre mal Zeit, nach den Auslaßventilen zu sehen, also Köpfe runter. Ergebnis hervorragend: Alle Ventile wären noch mal für mindestens 10-15.000 Kilometer gut gewesen. Da die verbauten Serienventile aber noch nicht bleifreitauglich waren, schickte ich die Köpfe noch mal zu Dynotec und ließ CO-beschichtete Ventile einbauen, Sitze fräsen und zwei Führungen wechseln.

Weiter unten sah ebenfalls alles top aus: Kolben und Zylinder waren wie neu, und die Stößeltassen präsentierten sich spiegelblank ohne jegliches Pitting. Der Motor läuft heute immer noch wie ein Uhrwerk, und bevor die 100.000 voll sind, kuck ich gar nicht mehr nach!

Fazit: Ein toller Motor für die Straße, mit dem man’s auch auf der Rennpiste ordentlich fliegen lassen kann, und dazu noch absolut zuverlässig. Die Kosten für diese Leistungsstufe liegen je nach Eigenleistung und Aufwand zwischen 3.000 und 5.000 Mark.

Aber mit der Zeit gewöhnt man sich an alles, und irgendwann wollte ich mehr!! Im Sommer 1994 las ich die Dynotec-Anzeige in der Motalia: “über 100 PS mit Nockenwellenkit 9508” und dachte, das muß es sein. Also, ans Telefon, Dynotec angerufen (nur mal soo… bloß mal fragen…) und mir die Sache mal genauer erklären lassen. Danach war klar: Bis zum Winter muß ich kräftig sparen, so ein Granaten-Motor muß her!!!

Ein LM III-Motor als Basis war vorhanden und sowieso reif zur Überholung. (Deshalb auch der Tausch der Motoren.) Im November 1994 machte ich mich also wieder mal auf in die Pfalz. Außer dem Gehäuse blieb von dem 3er-Motor allerdings nicht mehr allzuviel übrig: Eine Kurbelwelle mit 82 mm Hub ergibt mit 92er Bohrung und superleichten Wiseco- Kolben 1090 ccm Hubraum. Für ordentlich Füllung sorgt ein 9508-Nockenwellenkit mit bearbeiteten LM V-Köpfen. Carrillo-Pleuel sind Pflicht, da der Motor bis 9.000 dreht. Für einen gesunden Temperaturhaushalt sorgt eine Ölkühleranlage und zusätzlich eine Spritzölkühlung unter die Kolbenböden. Komplettiert wird das Ganze mit einer frei programmierbaren Zündanlage, 40er Mikuni-Flachschiebervergasern (Sajonara!),einer leichten Max-Einscheibenkupplung und jeder Menge Feinarbeit. Um das volle Potential auszuschöpfen, mußte noch eine 2in l in2-Auspuffanlage mit Krümmerzusammenführung unter der Ölwanne gebaut werden, diese Aufgabe übernahm Rohrbiegekönig Werner B. aus R.

Für die Selberschrauber: Bei Hubraumerweiterung mit 92er Kolben ist eine Brennraumanpassung unbedingt anzuraten, um ein gesundes, Verdichtungsverhältnis zu gewährleisten. Nach Lambda-Abstimmung im Fahrbetrieb ging’s dann noch mal auf den Prüfstand: 105 PS bei 7400/min und 107 Nm bei 6330/min (mit offenen Racing-Dämpfern).

Die Leistungsdaten beider Motoren wurden übrigens bei späteren Messungen auf einem unabhängigen Prüfstand bestätigt.

Und jetzt offenbarte sich eine neue Dimension: zwischen 4000/min und 9000/min nur Druck und unbändige Drehfreude! Und ab 6000/min beschleunigt das Motorrad geradezu brutal und dreht bissig bis in den Begrenzer bei 8800/min! Im Vergleich dazu fühlt sich ein Serienmotor an, als wäre er statt mit Öl bis zum Rand mit Honig gefüllt. Selbst im 5. Gang dreht der Motor bis kurz vor den Begrenzer (235 km/h nach Sigma-Fahrradtacho). Und durch die leichten Teile läuft er sehr kultiviert und seidenweich. Diese Leistungsentfaltung ist nur mit der eines Ducati-Vierventilers zu vergleichen, nur alles ca. 2000 Umdrehungen früher. Da ich selber auch eine 888 SP 2 besitze, habe ich den direkten Vergleich. Die Duc geht ganz oben raus noch etwas wilder, aber dieser Guzzi-Motor gibt dir das wahre Twin-Hammer-Gefühl, weil er schon bei mittleren Drehzahlen so unerhört losrotzt !

Genug der Begeisterung, schnell, meine Tropfen !!

Auch mit diesem Aggregat habe ich jetzt 20000 Kilometer ohne jegliches Motorproblem gefahren, davon über 3000 Kilometer Rennstrecke. Ich kann machen, was ich will, die Dinger gehen einfach nicht kaputt! Jetzt habe ich zur Kontrolle mal die Köpfe runtergenommen, und wie erwartet präsentierte sich alles im Topzustand. Lediglich die Ventilsitze waren etwas breitgeschlagen (kein Wunder bei über 11 mm Ventilhub), und die Einlaßventilführungen hatten ein bißchen zuviel Spiel. Also auch dieser Motor glänzt durch Standfestigkeit und noch dazu mit brachialer Leistung. Nur die bemitleidenswerte Kupplung hat’s mir einmal zerrissen: Kupplungskorb geplatzt! Zum Glück ist sie nicht auseinandergeflogen, so daß es zu keinen Folgeschäden kam. Getriebe und Endantrieb machen das Spiel aber bisher problemlos mit. Mit dieser Leistung ist ein Le Mans-Serienfahrwerk allerdings klar überfordert. Umfangreiche Änderungen an Reifen, Bremsen und Federelementen sind angesagt, wenn man das Potential nutzen will. Aber das ist eine andere Geschichte…

Braucht man denn nun so einen Motor? Für reinen Straßenbetrieb lohnt sich der Aufwand nicht unbedingt, da reichen 80- 90 PS eigentlich allemal. Aber es macht ja so viel Spaß, und wenn die Leistung mal da ist, möchte man sie auch nicht mehr missen. Für den sportlich ambitionierten Guzzisten, der den “Mischer” gerne mal über die Rennstrecke peitscht, ist es dank des sehr breiten Leistungs- und Drehmomentbandes der optimale Treibsatz und steigert den Fahrspaß erheblich! Das Tuning auf diese Stufe ist natürlich nicht mehr ganz billig, aber da ich mich jeden Tag aufs neue darüber freue, ist es für mich jede Mark wert gewesen. All diese positiven Erfahrungen bestätigen mir, bei der Wahl des Tuners die richtige Entscheidung getroffen zu haben. Die Iangjährige Rennsporterfahrung speziell mit Guzzi-Motoren zahlt sich eben aus, und das Preis/Leistungsverhältnis geht absolut in Ordnung. In meinem Freundeskreis sind inzwischen eine ganze Menge Guzzi- Fahrer mit Dynotec-bearbeiteten Motoren unterwegs und ebenfalls sehr zufrieden.

Also, wer auf der Suche nach sinnvollem, effektivem und standfestem Tuning ist, hat jetzt schon mal eine gute Adresse. Vielleicht schreibt ja mal jemand was über seine Erfahrungen mit anderen Anbietern, das wäre doch mal interessant. Ich wünsche allen eine sonnige Saison, vielleicht trifft man sich ja mal auf Tour oder auf der Nordschleife …