Centauro V12 – Wie ein wilder Stier

Artikel aus Motorrad, Heft 01/2000
(von Jörg Schüller)

Dynotec Centauro V12

Wie ein wilder Stier

Moto Guzzi – ein ehemals starkes, derweil leicht angestaubtes Sinnbild für Sportmotorräder. “Mister Guzzi” Jens Hofmann hält den Sportsgeist aufrecht, wie seine V12 Centauro beweist.
von Jörg Schüller

 

Schnellstraße, einspurig. Reichlich Verkehr, eingeklemmt hinter einem Lkw, der brav und gleichmäßig seinen Weg fährt. Den Körper ordentlich gespannt, die Hände in Bereitschaft um die Hörner des hohen Lenkers gelegt, den Blick an der Wand des Aufliegers vorbei nach vorn gerichtet, sachte spürbar der mächtige V2, der bei 5000/min ganz leise, ganz kultiviert daherschnürt, dabei aber mit den Hufen zu scharren scgeint. Gegenverkehr, Gegenverkehr, Gegenverkehr – dann eine kleine Lücke, nix wie vorbei. Das Gas auf Anschlag, aus leisem Schnauben erwächst gewaltiges Posaunen, kurz scheint sich die Dynotec-Guzzi Centauro aufzubäumen, schnellt dann wie aus der Schleuder geschossen an dem vermeintlich zum Lastkarren geschrumpften Lastzug vorbei. Brrraaab!

Distanzen schrunpfen, die Landschaft verschwimmt, übermächtig schiebt der V-Twin mit längslaufender Kurberwelle an, hängt superzackig am Gas, entwickelt gewaltige Kraft, dreht beinahe schon hektisch hoch. Interessanterweise stehen Sound, pure Kraft und ernorme Drehfreude, markig röhrend oder gierig schlürfend in faszinierendem Gegensatz zur geradezu turbinenartigen Laufkultur des mächtigen Vierventilers. Das Geheimnis: Zur umfangreichen Frisur des Kraftwerks gehört penibelstes Auswuchten der rotierenden und oszillierenden Massen des Kurbeltriebs, selbst unter Berücksichtigung der Menge des an die Kolben geschleuderten Öls.

Auch drumherum geht’s ans Eingemachte. Ein Paar leichte Schmiedekolben von zehn Millimetern mehr Durchmesser erlauben Drehzahlniveau auf Serienhöhe und verhelfen mit dem Hub der Standardkurbelwelle zu eindrucksvollen 1225 Kubikzentimetern Hubraum. Damit die Kolben in den gewachsenen Zylindervolumina ordentlich Gemisch schnüffeln, weichen die Ventile größeren, plasmanitrierten Pendants, betätigt durch ebenfalls plasmanitrierte, schärfere Nockenwellen. Plasmanitrieren? Ein Härteverfahren, bei dem die Härteschicht nach sorgfältiger Oberflächenbearbeitung des Werkstücks in einer Plasma-Atmosphäre entsteht. So sollen die anfälligen Ventilführungen des Guzzi-Vierventilers erheblich länger halten, zudem sinken die Reibungsverluste. Die Feinbearbeitung der Brennräume, des Ansaugtrakts und der Lager hilft schließlich ebenso wie die V-förmige Ölwanne größeren Volumens, die den Temperaturhaushalt des Schmierstoffs verbessert und im Gegensatz zum Serienteil sicherstellt, dass die Ölpumpe stets Öl und nicht Luft ansaugt.
Weniger wegen des so generierten Schubs als aufgrund ihrer Manieren fällt die Dressur der Vl2 nicht auf Anhieb leicht. Modifiziert durch ein längeres Öhlins-Federbein und eine verbreiterte Hinterradfelge, steigen zwar Federungsreserven, Bodenfreiheit und die Auswahl an moderner Bereifung wie den gut harmonierenden Michelin Pilot Sport. Auch verhilft das längere Federbein zu einem steiler stehenden Lenkkopf und somit verbessertem Handling, was im Gegensatz zur geometrisch ähnlichen, deutlich langsameren “echten” Guzzi V11 auch keinerlei Topspeed-Unruhe hervorruft.
Allerdings verursacht die steiler stehende Schwinge kräftige Kardanreaktionen, und die radikalisierte Gabelgeometrie antwortet auf Bremsen in Schräglage mit saftigem Aufstellen. Eigenschaften, die im Verein ordentlich Rodeo hervorrufen, die sich aber durch bewusstes Fahren bändigen lassen. Eigentlich nett und immer aufs Neue befriedigend, wenn man so was dann im Griff hat. Von feinfühliger Hand geführt, schwingt die V12 nämlich traumhaft durch die Bögen, begleitet den Piloten in sagenhafte Schräglagen, schafft diesem genial dosierbaren Motor das passende Umfeld für einen Rausch der Kurvensinne. Fahrspaß brilliert über Perfektion. Wie gesagt, keineswegs einfach zu fahren, aber sooo intensiv – langjährige Freundschaften werden ja auch nicht einfach so geschlossen.
Blieben da noch die 35000 Mark für diesen kaum alltäglichen Publikumsmagneten mit Komplett-ABE zu diskutieren. Unter uns: Mehr Aufsehen als die martialisch-dunkelblaue Guzzi haben noch wenige Testmotorräder erregt. Keine Frage, das Ding macht viel mehr an als die normale Centauro. Neben der beeindruckenden Leistungsfähigkeit ist das die paar Dollar mehr wert. Zumal bei einer solchen Anschaffung fürs Leben.

Die Topadresse für Guzzi-Motoren und Fahrwerke

Cookie Consent mit Real Cookie Banner